Warum ich kein Mitglied im Kult der Gold- und Silber-Chartpriester bin
Es kommt häufiger die Frage, warum ich in meinen Vorträgen so wenig Charts zeige. Verständlich, wenn man bedenkt, womit YouTube gerade überflutet wird: Gold- und Silberenthusiasten, die mit leuchtenden Augen auf Linien deuten, als hätten sie den heiligen Marktcode entschlüsselt. Ich erinnere mich an eine Szene vor Jahren. Seminarraum, schlechte Luft, übermotivierter Chart-Referent. Er malte Formationen in den Bildschirm, als würde er einen meteorologischen Wetterbericht für Edelmetallpreise halten. Neben mir saß ein älterer Investor, der mehr Krisen überlebt hatte als der Typ vorne Linien ziehen konnte. Er sagte zwei Sätze zu mir, die ich seitdem nicht mehr vergessen kann: “Charts zeigen dir, wo der Markt war. Sie verraten dir nie, wo er bricht.” und „Schau dir nicht an, was der Markt gestern getan hat. Schau dir an, was er morgen kaputtmachen kann.“ Seitdem lasse ich mich nicht mehr von hübschen Linien hypnotisieren. Charts sind Rückspiegel. Und wer im Rückspiegel investiert, fährt irgendwann frontal in den nächsten Schock hinein. Gold und Silber sind keine braven Haustiere, die auf Kommando steigen, nur weil irgendein Muster angeblich schon immer so aussah. Was mich interessiert: • Wie viel hält ein System aus, bevor es bricht? • Welche Risiken liegen im toten Winkel? • Wie baue ich Positionen so, dass ein Ausreißer mich reicher macht statt ruinierter? • Wo sind die asymmetrischen Chancen, die kein Chart abbilden kann? Charts sind optische Beruhigungstabletten. Robustheit ist Überlebenstaktik. Deshalb zeige ich wenig Charts. Nicht, weil sie nutzlos sind, sondern weil sie oft zu viel Glauben und zu wenig Denken erzeugen. Ich arbeite lieber mit dem, was in Krisen funktioniert, nicht mit dem, was in Videos gut aussieht. Wenn jemand also fragt, warum ich so wenig Linien zeige: Weil Linien selten lügen, aber die Schlussfolgerungen daraus fast immer.