Ich war 51 und hatte ein schönes Leben. Wir lebten auf dem Land und hatten ein schönes Haus am Dorfrand mit eigenen Wiesen. Wir hielten Pferde und Lamas, hatten zwei wunderschöne Collies, ich hatte einen Job, der zwar viel Arbeit machte, den ich aber geliebt habe.
Am Wochenende verbrachten wir unsere Zeit mit unseren Tieren, nicht immer stressfrei, wir hatten auch echt viel Arbeit. Elektrozaun setzen, Weidehütten aufbauen...Ganz billig war das auch nicht, aber dadurch, dass ich gut verdiente, ging es immer. Mein Mann, 15 Jahre älter als ich, war aus England zu mir nach Deutschland übergesiedelt und versorgte die Tiere und auch ein bisschen den Haushalt.
Dann kam der Parkinson und auf einen Schlag wurde alles anders. Lange Zeit gab es keine Diagnose, ich musste von einem Arzt zum anderen, Krankenhaus, Heilpraktiker, bis endlich die Diagnose stand: Morbus Parkinson.
Ich war so krank, ich wurde frühpensioniert, langsam aber sicher verlor ich fast alles, was mir lieb war. Ich konnte nicht mehr zu den Pferden und Lamas, zu kraftlos und voller Schmerzen. Mein lieber Mann und ich versuchten alles, waren überall, um die Krankheit zu besiegen. Obwohl die Ärzte immer nur ihr „unheilbar“ sprachen, glaubten wir, wenn wir nur die Ursache der Krankheit herausfinden würden, dann würde sie wieder weggehen und ich würde gesund. Vielleicht war das naiv gedacht, aber wir haben uns an jeden Strohhalm geklammert, mit nur mäßigem Erfolg. Der Parkinson schritt voran, unaufhaltsam und gnadenlos. Ich suchte die Schuld bei mir, was hatte ich falsch gemacht?, dann bei meinem Mann, unserer Kinderlosigkeit, you name it... Immerhin sprach ich auf Dopamin an und konnte gerade noch einen Spaziergang am Tag mit den Hunden machen. Die Besuche bei Ärzten, Heilpraktikern, Schamanen, ... verschlangen viel Geld, Zeit und Nerven. Wir kamen zu dem Schluss, dass es dem Glyphosat geschuldet war, das die Bauern großzügig auf den Feldern rund um unser Haus verteilten und dass mein Gehirn schwermetallvergiftet war. Aber auch der Versuch, sie auszuleiten, führte zu nichts.
Schließlich resignierten wir, das Leben wurde schwer und anstrengend.
Ich war depressiv, dachte oft an Selbstmord, wie würde ich es machen und wann...Dann kamen die Antidepressiva und es ging irgendwie weiter.
Ein Hirnstimulator musste 2017 her, und nachdem ich bei der OP fast hops gegangen wäre, wurde es tatsächlich für kurze Zeit etwas besser: Darauf folgten dann viele Sitzungen in Notambulanzen, wo mein Stimulator höher gestellt wurde, aber auch das war am Ende erfolglos.
Wir gaben mich auf und lebten so vor uns hin. Bis Corona kam und mein Bruder und meine Mutter tödlich verunglückten. Plötzlich wollten wir nur noch weg. Gedanklich hatten wir uns bereits von unseren geliebten Tieren verabschiedet, mein Mann war inzwischen auch nicht jünger geworden und tat sich schwer mit der Versorgung. Ich schrieb viele E-Mails, um sie unterzubringen und irgendwann fanden wir tatsächlich einen Gnadenhof, der sie aufnahm.
Der Abschied von den Tieren war das allerschwerste und ich habe geweint und die Krankheit verflucht, aber auch das brachte mir natürlich nichts. Ich wollte nur noch weg.
Wir packten, einer spontanen Eingebung folgend, ein paar Sachen zusammen (stellt euch das mal nicht so einfach vor, das war ein ungeheure Kraftanstrengung), in unseren Pferdehänger und brachen auf: an die Nordsee, wo das Haus meines Bruders verlassen stand.
Seitdem leben wir nun hier, inzwischen ohne unsere wunderbaren Collies, dafür mit einer einäugigen Straßenhündin aus Bulgarien; die wir inzwischen nicht mehr missen möchten.
Die Krankheit schreitet voran, ein Krankenhausaufenthalt reiht sich an den anderen.
Das Leben ist nicht einfacher geworden, gerade habe ich eine Dopaminpumpe erhalten, die mir helfen soll, das Dopamin besser zu verstoffwechseln. Mein Mann ist inzwischen 81, manchmal denke ich, wir warten nur noch auf den Tod.
Inzwischen waren wir auch noch einmal in der Heimat, haben viele Tränen vergossen, als wir unser Häuschen nochmal wiedersahen. Ein paar einige Sachen zusammenpackend, haben wir die Reste unseres Lebens in einem Pferdehänger nach Norden transportiert. Wir haben uns 3 Wochen erlaubt um das zu schaffen: ein Haus mit Millionen von Büchern, Pferdezubehör, Balkenmäher...Sogar in den drei Wochen musste ich noch ins Krankenhaus, um dort in einer OP die Batterien in meinem Schrittmacher wechseln zu lassen.
Wir hatten das Gefühl, so gut wie alles loslassen zu müssen, der Pferdehänger nahm nur einen winzigen Bruchteil unseres Besitzes auf. Das Auto hing in den Seilen.
Seitdem leben wir nun seit 3 Jahren an der Küste, wo ich einst herkam, und hier fühle ich mich auch zu Hause. Ein schwacher Trost bei all den Sorgen, die ich mir mache: wie geht es mit mir weiter? Wird mein Mann vor mir gehen? Und dann? Ein Pflegedienst, eine Einrichtung? Was kommt auf mich zu?? Angst!!
Dann sehe ich zufällig ein Video von Justus und seinem Original Body. Es lässt mich nicht los.
Warum sind wir also hier? Weil das Leben auch eine Verpflichtung ist, das Beste daraus zu machen, was irgend geht. Es ist ein Hoffnungsstreifen am Horizont, der mich noch einmal antreibt, es zu versuchen, auch wenn mir gerade knüppeldicke Hürden in den Weg geräumt werden.
(AU weh, so ein langer Text, bitte um Vergebung)